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DIE HOHE KUNST, DAS LEBEN ZU LEBEN

Träume müssen keine bleiben. Alexander Eischeid hat seinen Traum realisiert – auch ohne große finanzielle Mittel.

Name: Alexander Eischeid

Geburtsdatum: 10.10.1977

Beruf: Tischlermeister

Hobbys: Träumen, Reisen planen, Reisen, Vespafahren, Vespa schrauben, Feiern, Zeit mit Frau und Freunden verbringen…

Kraft bedeutet für mich: fit für meine Pläne zu sein.

Ushuaia, Argentinien: Alexander Eischeid steht im Uferwasser des antarktischen Ozeans, schraubt eine kleine Dose auf und sagt: „Nach diesem Moment und dieser Sekunde habe ich mich sehr gesehnt.“ Dann gießt er den Inhalt ins Meer: ein paar Tropfen arktischen Ozeans, die er am nördlichsten Punkt Alaskas entnommen hat, um sie hier am südlichsten Punkt Südamerikas in einem symbolischen Akt mit dem antarktischen Ozean zu vereinen. „Es ist vollbracht“, schreit er und jubelt sein Glück in die Welt. Fast ein bisschen trotzig fügt der waschechte Kölner hinzu: „Wat der Golfstrom kann, dat kann isch auch.“

Die paar Tropfen sind für Alexander Eischeid die Essenz eines gelebten Traums: Mit seiner ausrangierten gelben Post-Vespa, die er Elsi getauft hat, knatterte er 22 Monate von Nord nach Süd über den amerikanischen Kontinent, durchquert 19 Länder und legt insgesamt 71.300 Kilometer zurück. Die abenteuerliche Reise führt die beiden durch Wälder und Wüsten, über mehrere Andenpässe und tiefe Täler, über Salzseen und Huckepack auf einem Segelboot sogar übers Meer – eine Herausforderung für den Fahrer und seine überladene Gefährtin. „Das war alles andere als ein bequemer Urlaub!“ Er selbst bezeichnet sich als knallharten Träumer. Und tatsächlich: ein Traumtänzer ist Alexander Eischeid nicht.

„Life is for living“ (Barcley James Harvest)

Eischeid ist 39 Jahre alt. Das Jahr 2006 markiert für den Tischlermeister einen entscheidenden Wendepunkt. „Ich hatte damals eine Tischlerei und brauchte dringend eine Auszeit. Also reiste ich mit dem Rucksack um die Welt. In Bolivien packte mich der süchtig machende Cocktail aus Freiheit, fremden Ländern, Kulturen und Menschen. Ich beschloss: Hierhin komme ich zurück – mit meiner Vespa.“

Zurück in Köln, gibt Eischeid seine kleine Tischlerei auf. Seitdem arbeitet er freiberuflich. „Ich will frei sein für meinen aktiven Lebensstil“, sagt er. Unsicherheiten und Zweifel nimmt er dafür gerne in Kauf. „Das gehört dazu. Es hält den Geist wach“, sagt er und lacht ziemlich befreit. Als Bootsbauer geht er zunächst nach Südfrankreich, um Segel- und Motoryachten auszubauen. Einen Großteil der Einkünfte kann er für seine Traumreise zurücklegen – auch weil er in dieser Zeit auf eine eigene Wohnung oder ein Auto verzichtet.

Er entdeckt, dass er nicht viel zum Leben braucht – und zum Glücklichsein erst recht nicht. Von den Bootscrews übernimmt er das Motto: „Life is for living“ – das Leben ist zum Leben da. Seitdem ist es Eischeids großer Lebenstraum, sich immer wieder die Freiheit zu erlauben, auf Reisen zu gehen und den Blick zu heben, um Länder und Leute kennenzulernen.

Vesparicana

Im Juni 2013 bricht der Kölner schließlich auf zu seiner Vesparicana – eben jener Traumreise, die seine Leidenschaft für die Vespa mit der für Lateinamerika vereinen soll. Das Reisen allein und auf der Vespa ist für ihn der Inbegriff des Loslassens und der Freiheit. „Ich muss mich mit niemandem abstimmen, kann spontan sein. Elsi war das ideale Fortbewegungsmittel, denn die Menschen haben schnell gemerkt, dass ich mit geringen finanziellen Mitteln unterwegs war. Das hat Herzen und Höfe geöffnet.“

Das Training

Eischeid trainiert zweimal wöchentlich, um fit zu sein für sein aktives Leben und um die Herausforderungen des Lebens und des Reisens mit Leichtigkeit meistern zu können. Der Fokus seines Trainings liegt auf der Stärkung von Rücken- und Nackenmuskeln, da sie für Vespa-Fahrer nicht nur auf langen Strecken unerlässlich sind. Besonders gefällt ihm das entspannte Trainingsklima. Seine Lieblingsmaschine ist die F3.1 zur Stärkung des Rückens.


Und genau das zeigt sich schon zu Beginn der Reise. Eischeid hatte seine Vespa in einer Speditionskiste per Flugzeug von Köln nach Vancouver, Kanada geschickt. Doch als er sie am Zoll auslösen will, erwartet ihn eine unangenehme Überraschung, die beinahe seine Pläne zunichtemacht. Bruder und Schwägerin hatten die Kiste in Köln heimlich geöffnet und Dinge hineingeschmuggelt. Dinge, die ein Kölner braucht, um glücklich zu sein – zumindest, wenn man einem bekannten kölschen Song Glauben schenkt: nämlich Woosch (Wurst) und Kölsch. Doch die Zollbeamten sind gnädig: Eischeid muss lediglich ein Formular zur Vernichtung illegal eingeführter Produkte unterschreiben und 80 US Dollar Strafe zahlen. Dann dürfen er und seine Elsi einreisen. Selbst das Kölsch bekommt er mit einem Zwinkern zurück.

Und so knattert Eischeid auf seiner Elsi beschwingt los – zuerst ein paar Wochen ganz in den Norden Amerikas nach Prudhoe Bay in Alaska und von dort durch Nord- und Mittelamerika Richtung Süden. Nach anfänglichem Übergepäck, das er jeden Morgen auf dem eigens angefertigten Stahlgepäckträger auftürmt, verabschiedet sich Eischeid unterwegs von allem überflüssigen Ballast. Überhaupt ist er sparsam unterwegs: übernachtet im Zelt und bereitet sein Essen auf dem Campingkocher zu – immer frisch, gesund und lecker, wie er betont. Mit ca. dreieinhalb Litern Benzin auf 100 Kilometern braucht auch seine treue Gefährtin nicht viel.

Überwältigende Begegnungen

Während Hitze, Kälte, Sturm, Regen, Schnee und Hagel dem Fahrer zu schaffen machen, beuteln unbefestigte Pisten, Sand, Schotter, Salz, Matsch, Wasser und Geröll die kleine Elsi. Eischeid zählt auf: 10 Mäntel, 8 Felgen, 8 Kolben, 3 Bremstrommeln, 2 Zylinder, 1 Auspuff und unzählige kleine Verschleißteile gingen bei dem abenteuerlichen Ritt drauf. Oft kann er sich selber helfen. Doch der offene Kölner erfährt auch immer wieder Hilfe, etwa durch die Mitglieder lokaler Vespa-Clubs. Sie unterstützen ihn mit Tipps, besorgen Ersatzteile, öffnen Werkstätten und reparieren die Vespa – manchmal einfach nur gegen eine Umarmung. Und immer wieder begleiten die Menschen Eischeid auf kleineren und größeren Etappen, um ihm die schönsten Fleckchen zu zeigen.

Am Ende sind es weder die atemberaubenden Landschaften, noch die vielfältige Tierwelt, die Eischeid nachdrücklich beeindrucken. Es sind die Begegnungen mit den Menschen. „Die Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit haben mich überwältigt. Die ärmsten Menschen haben mit mir das Wenige, das sie hatten, geteilt.“ Wie ein Fischer in Mexiko: „Er hatte an dem Tag nur einen einzigen Fisch gefangen. Meine Vorräte waren aufgebraucht und ich konnte keine neuen besorgen. Der Mann teilte den Fisch ganz selbstverständlich mit mir und sagte: Wenn ich den Fisch alleine esse, werde ich alleine satt. Wenn wir beide ihn essen, werden wir beide satt.“

Wenn Eischeid Geschichten von seiner Reise erzählt, macht er das mit dem ganzen Körper. Er spielt die Szenen nach, schlüpft in die Rollen der Protagonisten, ahmt deren Stimmlage nach, spricht mal Spanisch, mal Englisch. Es scheint, als würde er mit jeder Pore die Reise wieder erleben und dabei strahlt er – ganz erfüllt vor Glück. Doch Eischeid wäre kein waschechter Kölner, käme er nicht immer wieder gern in seine Heimat zurück. Er fasst sich in den Bart und sagt: „Ich wollte meinen Traum leben. Und ich habe ihn gelebt. Aber kein Vespa-Club dieser Welt und keine noch so schöne Landschaft kann meiner Freundin Uli das Wasser reichen.“ Und so kehrt Eischeid im März 2015 auf einem Frachtschiff zurück nach Deutschland. Sein Fazit der Reise: „Life is for Living: Man sollte seine Träume realisieren. Das hebt den Blick und öffnet das Herz.“ Seine Freundin hat er inzwischen geheiratet. Die Hochzeitskutsche? Natürlich eine Vespa. Und den nächsten Traum, den wollen die beiden gemeinsam genießen.

Die Reiseroute

Mit nur 7,5 PS und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 70 km/h tuckern Eischeid und Elsi durch Kanada und Alaska, Washington, Oregon, Kalifornien, Nevada, Utah und Arizona. Sie fahren durch Mexiko, Belize und Guatemala, wo Eischeid überfallen und ausgeraubt wird. Über El Salvador, Honduras, Nicaragua und Costa Rica geht es weiter nach Panama. Mit einem Segelboot schippern sie Huckepack über das karibische Meer vorbei an den San Blas Inseln nach Kolumbien. Nach zwei Monaten Pause geht es weiter nach Ecuador und von dort zu einem Abstecher auf die Galapagosinseln. Danach führt sie der Weg nach Peru zum Machu Picchu und vorbei am Titicacasee nach Bolivien. Dort kämpfen sie sich durch den Tiefsand der bolivianischen Wüste und über den riesigen Salzsee Salar de Uyuni und bezwingen einen 4.500 Meter hohen Andenpass. Über Chile, Argentinien, Paraguay, Brasilien und Uruguay erreichen Eischeid und Elsi schließlich Ushuaia in Feuerland – und damit das Ziel ihrer Reise.

Alexander Eischeid hat mit dieser Reise nicht nur das großartigste Abenteuer seines Lebens erlebt, sondern auch die größte Herausforderung bewältigt. Darüber hat er ein Buch geschrieben, das im März erschienen ist.

Eischeid, Alexander
Vesparicana
Mit der Vespa von Alaska nach Feuerland
Bastei Lübbe
Paperback, 384 Seiten
ISBN: 978-3-7857-2594-8

www.vesparicana.de

Interview: Tania Schneider
Foto: Verena Meier