WENN DER KOPF WILL, IST DER KÖRPER ZU UNGEAHNTEM IMSTANDE
Eugen Stendebach geht zitternd durchs Leben – und ist dennoch ein mutiger Mensch
Als Eugen Stendebach beim Bezahlen an der Tankstelle seine PIN-Nummer eingeben will, zittern seine Hände. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, führen sie ein Eigenleben. Stendebach ist beschämt, weil es ihm nicht gelingt, vier einfache Ziffern in einen Nummernblock einzugeben. Und geschockt: „Mir wurde schlagartig die Bedeutung der Diagnose klar“, sagt er mit leiser Stimme.
Eugen Stendebach leidet unter Morbus Parkinson, Schüttellähmung, einer unheilbaren Erkrankung des zentralen Nervensystems, zu deren Hauptsymptomen neben dem Tremor, Muskelversteifung, eine instabile Körperhaltung sowie eine Verlangsamung der Bewegungen bis hin zur völligen Starre zählen.
Als Stendebach von diesem Wendepunkt in seinem Leben bei den Fotoaufnahmen für das Projekt „50 starke Persönlichkeiten“ erzählt, zittern seine Hände heftig. Wie immer, wenn er im Rampenlicht steht. „Ich komme nicht damit zurecht, wenn mich jeder anstarrt“, sagt er verlegen. Dennoch trotzt er der Linse der Fotografin. „Mal sehen, ob du ein scharfes Foto kriegst“, witzelt er und folgt schäkernd ihren Anweisungen. Während seine Arme schützend aneinander Halt suchen, versprühen seine Augen mit den vielen Lachfältchen Kraft. Eugen Stendebach ist trotz seiner Krankheit ein optimistischer und mutiger Mensch.
Sich durchzubeißen hat Stendebach von Geburt an gelernt. Er kam als Frühchen zur Welt – in einer Zeit, in der es noch keine Brutkästen gab. Nach der Mittleren Reife folgt eine Karriere bei der Polizei. Insgesamt 25 Jahre lebt er seinen Traumberuf, 5 Jahre als Dienststellenleiter des legendären 4. Reviers am Frankfurter Bahnhof und zuletzt 4 Jahre als Polizeichef des Main-Taunus-Kreises. Razzien, Häuserräumungen und Demonstrationen gehören für ihn zum Alltag.
Doch im Jahr 2000 hat Stendebach genug davon, Verbrecher zu jagen und Befehle zu erteilen, die über Leben und Tod entscheiden. Mit der Geburt seiner Tochter fasst er Mut, quittiert er den Dienst – und wagt den Sprung aus dem sicheren Beamtenstatus in die Selbstständigkeit. Eugen Stendebach ist 44 Jahre alt, als er einfach neu anfängt und in Wiesbaden ein Kieser Training-Studio eröffnet. „Ich habe keine Sekunde gezweifelt. Man muss sein Leben immer wieder überdenken – und kann jederzeit neue Wege einschlagen“, sagt er.
Drei Jahre später dann die Diagnose Parkinson. Für Stendebach ist klar: „Aufgeben kommt nicht in Frage“, auch wenn es ihm nach der Diagnose deutlich schlechter geht als vorher. Die Selbstständigkeit erweist sich als glücklicher Zufall, gibt sie ihm die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, wann immer er es braucht oder die Krankheit es fordert.
Auf keinen Fall will er dem Parkinson die Kontrolle überlassen, stattdessen kämpft er lieber für seine Autonomie – auch mit Methoden jenseits schulmedizinischer Pfade. Und so sitzen in jedem Ohr 60 kleine Titannadeln, für deren Preis andere Menschen ein Auto kaufen. Auch eine schamanische Heilerin besucht der Ex-Polizist regelmäßig – ausgerechnet er, für den 25 Jahre nur Fakten galten. „Kranke Menschen tun Dinge, die sie früher nie getan hätten. Es tut mir einfach gut.“
Für Stendebach ist die Krankheit reine Kopfsache. „Wenn ich an sie denke und darüber rede, ist sie da“, sagt er und zittert gleich ein bisschen mehr. Wenn er es aber schafft, sich zu 100 Prozent auf etwas anderes zu konzentrieren, gewinnt er die Kontrolle über seine Hände zurück. „Wenn der Kopf will, ist der Körper zu Ungeahntem imstande – das habe ich durch Kieser Training gelernt.“
Zwar ist Stendebach durch die Schüttellähmung zögerlicher geworden, dennoch stellt er sich bewusst immer wieder neuen Herausforderungen. Gerade erst hat er wieder mutig einen Sprung gewagt: Dieses Mal aus einem Flugzeug aus 4.000 Metern Höhe. Begeistert erzählt er von seinem Fallschirm-Tandemsprung: „Ich kann mir auch mit 60 und trotz meines Parkinsons einiges zutrauen“, sagt er stolz. Felsenfest ist er davon überzeugt, dass alles zu seinem Besten passiert. „Ich soll mich an meiner Erkrankung weiterentwickeln. Wenn ich meine Lektion gelernt habe, kann ich sie auch wieder abgeben“, sagt er optimistisch mit blitzenden Augen.
Text: Tania Schneider
Foto: Verena Meier